Georg Friedrich Händel: Israel in Egypt
Bildgewaltiges Oratorium zum 30-jährigen Chorjubiläum
Unter Leitung von Klaus Brecht setzten der Kammerchor Tritonus, die Solisten und das Barockorchester La Banda Händels bildhafte Musiksprache gekonnt um, unterstützt von den Live-Illustrationen durch Julia Ginsbach.
Die Superlative überschlagen sich, wenn von Händels, gleich nach dem fast schon überstrapazierten „Messias“ zweitbekanntesten Oratorium „Israel in Egypt“, die Rede ist. Georg Friedrich Händels für damalige Zeiten äußerst bildhafte Musiksprache animierte den musikalischen Leiter Klaus Brecht wohl auch dazu, mit Julia Ginsbach eine bildende Künstlerin einzubinden. Die geniale Idee, synchron zur Musik Live-Illustrationen zu generieren, betonte denn auch eindrucksvoll die Gemeinsamkeiten zwischen den Künsten. Das Eröffnungskonzert der Veranstaltungsreihe zum 30-Jahr-Jubiläum des inzwischen gar nicht mehr so jungen Kammerchors Tritonus aus Ochsenhausen in St. Verena in Rot an der Rot, gemeinsam mit dem Augsburger Barockorchester La Banda, setzte einen künstlerischen Meilenstein in der Region.
Die zehn biblischen Plagen, die dem Auszug der Israeliten aus Ägypten vorangingen, beschäftigten Händel in seinem dreiteiligen Oratorium für Soli, Chor und Orchester. Blutiges Wasser, eine Froschplage, die Pest, die Blattern, Fliegen, Läuse und Heuschrecken, Hagel, Feuerflammen und undurchdringliche Finsternis animierten Händel zu einer bildgewaltigen Tonsprache, zu packenden Chorszenen und dramatischen Instrumentalklängen in einer frühen Form „darstellender Musik“. Im Zusammenwirken mit der Musik erinnerten die mit sparsamsten Mitteln „coram publico“ in groben Strichen skizzierten Illustrationen der in Niedersachsen lebenden Musikerin und Künstlerin Julia Ginsbach durchaus an die Wirkung der monumentalen Hollywood-Bibelverfilmungen von „Moses“ in „Die zehn Gebote“.
Hervorragende Gesangssolisten und Barockspezialisten internationalen Zuschnitts gaben dem Jahrhundertwerk nicht nur mit ausziselierter Ornamentik und brillanten Koloraturen eine besondere Strahlkraft. Die Partien des erkrankten Tenors wurden souverän von seinen Mitstreitern, dem hell und klar klingenden Sopran von Sonja Bühler, dem weich gedeckten Sopran von Verena Gropper, der Altistin Anne Bierwirth mit ihrer präsenten Altstimme, dem schwedischen Bariton Peter Strömberg und dem griechischen Bass-Bariton Christos Pelekanos übernommen. Die barocke Pracht des resultierenden Gesamtklangs vervollständigten die Augsburger Instrumentalisten auf ihren historischen Instrumenten. Ventillose Barocktrompeten und Posaunen, mit harten Schlägeln auf Naturfell gespielte Pauken, ein meist für Generalbass und Sondereffekte zuständiges Orgelpositiv und ein gut besetzter Streicherapparat illustrierten auf hochmusikalische Weise das Geschehen. Schnelle, filigrane Streicherfiguren in den Violinen charakterisierten Fliegen, Läuse und Heuschrecken, dramatische Paukenwirbel den Hagel, Orchesterschläge die Blitze.
Richtige Gänsehauteffekte erzielte jedoch vor allem der rund 50-köpfige, annähernd paritätisch besetzte und bestens eingestimmte Kammerchor von Klaus Brecht, besonders eindrucksvoll im 8. Chor des zweiten Teils „He sent a thick darkness“. Dumpf, düster und fahl im feinsten Pianissimo, in apokalyptischem Moll und mit verminderten Akkorden durchsetzt, schien die dichte Finsternis des endzeitlichen Armageddon zum Greifen nah. Ebenso eindrucksvoll gestaltete sich etwa auch der 23. Chor des dritten Teils „Who ist like unto thee, O Lord?“, als Gott – anschaulich auch in der Illustration von Julia Ginsbach – seine mächtige rechte Hand ausstreckte. Die eingesetzte Chromatik, verminderte Septakkorde, ein sparsam begleitetes Fugato und schließlich die volle farbenprächtige Instrumentation verdeutlichten plastisch die göttliche Macht, die im folgenden transparenten Duett der auch klanglich wunderbar harmonierenden Soprane um den Aspekt der Barmherzigkeit ergänzt wurde.
Der kurze Chorteil „The Lord shall reign for ever and ever“, im satten Tutti mächtig in barocker Pracht erstrahlend, beschloss auch als Zugabe ein rund zweieinhalbstündiges und dennoch kurzweiliges Konzert, das durchaus eine etwas größere Publikumsresonanz verdient gehabt hätte.
Quelle: Schwäbische Zeitung im Mai 2022 (Helmut Schönecker)